Nord-Pas de Calais | © individualicious

Nord-Pas de Calais: Willkommen bei den Ch’tis

Die Region Nord-Pas de Calais ist die nördlichste Region Frankreichs. Sie liegt an der Grenze zu Belgien. Hauptstadt der Region ist Lille, Ausgangspunkt dieser Reise. 


Vielen Dank an die Region Nord-Pas de Calais, Air France und SNCF, die diese Reise unterstützt haben.


Es ist das Schicksal des Postbeamten Philippe Ambras, der vom Süden Frankreichs in das trist geltende Nord-Pas de Calais strafversetzt wird, welches vor einigen Jahren den Film “Willkommen bei den Sch’tis” mit rund 20 Millionen Kinobesuchern zum erfolgreichsten französischen Film machte. Nicht zuletzt deshalb, da der Norden Frankreichs bei vielen Franzosen als kalt, die Einheimischen als etwas beschränkt und der Dialekt einfach als unverständlich angesehen wird.

Dass die Region Nord-Pas de Calais nahe der belgischen Grenze einiges zu bieten und mit dem weit verbreiteten Klischée nur wenig gemeinsam hat, zeigt sich bei einem Besuch der Region. Zwar ist die Mentalität der Franzosen hier definitiv eine andere, als man von Paris oder dem Süden Frankreichs gewöhnt ist, doch die Ch’tis beeindrucken durch eine ruhige Gelassenheit und Gemütlichkeit, die man ansonsten von Frankreich kaum gewohnt ist. Und auch die Landschaftsbilder sowie die Städte Lille, Arras, Lens und andere zeigen sich von ihrer besten Seite.

Mit knapp unter 250.000 Einwohnern ist Lille nicht nur die viertgrößte Stadt Frankreichs sondern zugleich auch Hauptstadt der Region Nord-Pas de Calais. Und die Statistik bestätigt den gewonnen Eindruck: mit rund 1/3 der Bevölkerung, die unter 25 Jahren ist, ist Lille eine junge Stadt. Die Altstadt von Lille beeindruckt durch französischen Charme, der von den engen Gässchen ausgeht: hier drängt sich ein kleiner Laden an den nächsten, typisch französische Cafés und Restaurants reihen sich zwischen individuellen kleinen Boutiquen, die zum Flanieren und Shoppen einladen. Vor allem zur aktuellen Jahreszeit: denn von Ende Juni bis Ende Juli ist hier Sales und dieser wird bei der Bevölkerung noch groß geschrieben. Auf den historischen Plätzen wie dem Place Géneral de Gaulle herrscht turbulentes Treiben. Und mit dem Palais des Beaux Arts, einem der bedeutendsten Museen Frankreichs, oder der Oper sowie vielen weiteren Museen und Theater kommt auch der kulturelle Aspekt nicht zu kurz. Doch auch die Erholung kommt in Lille nicht zu kurz. So bietet der Park rund um die Citadelle jede Menge Grünfläche, die von den Einheimischen gerne genutzt wird. Direkt angrenzend befindet sich auch der Zoo, welcher kostenlos besucht werden kann und vor allem am Wochenende ein Anziehungspunkt für viele ist.

Lille lässt sich wunderbar per Rad erkunden – denn wie in kaum einer anderen französischen Stadt gehen Autofahrer hier mit Radfahrern besonders rücksichtsvoll um und hupen selbst dann nicht, wenn man fotografierend die Straßen entlang radelt. Möglichkeiten dazu bieten einerseits die an vielen Stationen erhältlichen City Bikes oder – Aufmerksamkeitsgarantie inklusive – eine geführte Tour mit Hollandrädern, die die wichtigsten Punkte in Lille beinhält.

Nord-Pas de Calais | © individualicious
Nord-Pas de Calais | © individualicious
Nord-Pas de Calais | © individualicious

Übernachtungsmöglichkeiten gibt es in Lille zuhauf, ein Tipp ist beispielsweise das Hotel Up. Es liegt einerseits in Fußnähe zu den beiden Bahnhöfen Lille-Flandres und Lille-Europe, andererseits befindet es sich auch in unmittelbarer Fußnähe zum Zentrum. Etwas außerhalb von Lille, in Wambrechies, liegt Deûle Insolite – ein wahrer Geheimtipp wenn es um eine ungewöhnliche Übernachtung geht. Ob amerikanischer Trailer, britischer Doppeldecker, beglische Holzhütten oder brandneuer Container: hier schläft es sich nicht nur ungewöhnlich, sondern zugleich wie in einer grünen Erholungsoase mit charmantem Service (doch dazu bald mehr).

Wer in Lille unterwegs ist, sollte es sich jedenfalls nicht nehmen lassen, auch einen Abstecher an die rund 80km entfernte Küste zu machen. Unser Ziel: Dunkerque. Die rund 95.000 zählende Stadt liegt etwa 10km von der belgischen Grenze entfernt und vereint Stadt- mit Strandleben. Der erste Stopp führt nach Malo-les-Bains, dem Strandabschnitt von Dunkerque. Unser Vorhaben: Strandsegeln lernen. Mit ein klein wenig Unbehagen beobachte ich einen Kartfahrer mit Kite mit beachtlicher Geschwindigkeit an uns vorbeiziehen. Doch meine Bedenken sind unbegründet – denn obwohl der Weltrekord des Strandsegelns bei rund 200 km/h liegt, sollen wir an diesem Tag nicht mehr als 25 km/h erreichen. Unser Lehrer Erique von Mer et Rencontres führt uns in einer kurzen theoretischen Einheit in die Technik des “Char à voile” ein und dann kann es auch schon losgehen. Geht die erste Runde noch etwas zögerlich von sich, haben wir den Dreh schnell raus und finden mächtig Spaß dran, am Strand unsere Runden zu ziehen. Lediglich unsere nachlassenden Kräfte bringen uns nach etwa zwei Stunden zum Stoppen, denn ansonsten birgt Strandsegeln echte Suchtgefahr. 33 Euro bezahlt man für zwei Stunden, ein Vergnügen, welches ich definitiv weiterempfehlen kann und bei der nächsten Gelegenheit unbedingt wieder machen werde.

Doch die Küstenregion hat mehr zu bieten. Die unberührten Dünengebiete der französisch-flämischen Küste laden zum Spazieren ein, der drittgrößte Hafen Frankreichs kann bei einer Hafenrundfahrt und einem anschließenden Besuch des Hafenmuseums (inklusive Besuch des Dreimasters “Duchesse Anne”) besichtigt werden, einen wunderbaren Ausblick über die Stadt und die umliegende Region bietet der Beffroi de Saint-Eloi.

Nord-Pas de Calais | © individualicious
Nord-Pas de Calais | © individualicious
Nord-Pas de Calais | © individualicious

Rund 20 Autominuten von Lille entfernt liegt das neu eröffnete Konzertgelände 9-9bis, ein ehemaliges Kohlebecken und seit rund einem Jahr UNESCO Weltkulturerbe. Dank des großzügigen Geländes und den historischen Bauten ist das 9-9bis eine ideale Eventlocation, das neu eröffnete Métaphone eine Einrichtung, die künftig namhafte nationale und internationale Musikgrößen anziehen soll und als Besonderheit dank der Architektur selbst Musik hervorruft. Nicht weniger gut besetzt ist das Line Up des traditionellen Main Square Festivals in Arras, welches Anfang Juli stattfindet. Größen wie Green Day, The Prodigy, Bloc Party, Sting, The Hives und viele mehr lassen sich drei Tage lang vom nordfranzösischen Publikum bejubeln, welches für ihre Feierlaune in ganz Frankreich bekannt ist.

Wer nach Nordfrankreich kommt, um weniger Shoppingvergnügen und Events und stattdessen etwas mehr Kultur und Geschichte zu erfahren, wird in Nord-Pas de Calais ebenfalls fündig: Der vor gerade einmal einem halben Jahr eröffnete Louvre-Lens beherbergt eine große Palette an Exponaten des Pariser Louvre und ist zugleich Platz für regelmäßig wechselnde temporäre Ausstellungen. Rund um Lens finden sich ebenfalls ehemalige Bergwerksdörfer und Kohlebecken die nun von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden und heute besichtigt werden können. Historisch bedeutenswert ist hingegen das kleine Städtchen Arras – bekannt für die Schlacht von Arras im 1. Weltkrieg. Beeindruckend ist ein Besuch des Wellington-Steinbruchs, wo sich 1917 24.000 britische Soldaten auf die Schlacht von Arras vorbereiteten und heute ein 20m unter Tag liegendes Museum die Erlebnisse von damals aufarbeitet. Doch auch Arras selbst sollte man besuchen. Denn wurden im 1. Weltkrieg rund 90% der Gebäude zerstört, leistete man in den Jahren danach eindrucksvolle Aufbauarbeit. Vor allem die beiden historischen Plätze mit den umliegenden Häusern sind von außergewöhnlicher Architektur; Restaurants, Cafés und Läden laden zum ausgiebigen Stadtbummel ein.

Nord-Pas de Calais | © individualicious

Die Region Nord-Pas de Calais ist vielfältig; es bräuchte wohl weit mehr als vier Tage, um weitere Sehenswürdigkeiten zu besichtigen und vor allem die tolle Küstenlandschaft zu entdecken. Eines ist sicher: Lille und die Umgebung werden mich bald wiedersehen, denn mit nur 50min Fahrt mit dem TGV vom Flughafen Paris Charles-de-Gaulle steht einem verlängertem Wochenende zum Shopping, Schlemmen und Strandsegeln nichts im Weg.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

2 Kommentare

  1. Ach was für ein schöner Artikel, Du bringst es mit Deinen Fotos und den Texten auf den Punkt, Nordfrankreich muss man einfach bereisen. Die Küstenlandschaft ist der Punkt den ich unbedingt auch noch einmal erkunden muss.
    Lieben Dank sagt Daniela